28.01.2022

TriCon 2022: Wissenschaftliche Tagung

Justizministerin Katja Meier zur Eröffnung der wissenschaftlichen Tagung hinter einem Rednerpult

Heute endete die 1. Trinationale Rechtsstaatskonferenz des Freistaates Sachsen (TriCon). Erstmals hatte das SMJusDEG die Dreiländerkonferenz gemeinsam mit der Universität Leipzig ausgerichtet.

Die Tagung fand online statt auf der Plattform Zoom und wurde übertragen im YouTube-Kanal der Sächsischen Landesregierung. Teilgenommen haben mehr als 100 Personen aus Polen, Tschechien und Deutschland, darunter Fachleute, Politikerinnen und Politiker, Studierende und interessierte Öffentlichkeit.

Die sächsische Staatsministerin der Justiz und für Demokratie, Europa und Gleichstellung, Katja Meier, betonte zur Eröffnung der Tagung die Notwendigkeit, Differenzen auch mit Hilfe wissenschaftlicher Erkenntnisse zu überwinden: "Dort, wo Distanz eingehalten wird, wo die Positionen verhärtet sind, da kann die Wissenschaft nach Wegen suchen." Sie mahnte an, bei der Forderung nach einer gemeinschaftlichen Lösung die jeweiligen Rechtstraditionen der Mitgliedsstaaten nicht aus dem Blick zu verlieren: "Wenn wir nach einem gesamteuropäischen Rechtsstaatsverständnis suchen, dann sollten wir uns immer auch fragen: Welche individuelle verfassungspolitische Geschichte liegt in den einzelnen Mitgliedstaaten zugrunde? Worin bestehen unsere jeweiligen rechtspolitischen Hintergründe? Wenn wir diesen Fragen wissenschaftliche Aufmerksamkeit schenken, dann machen wir einen Schritt in Richtung eines echten europäischen Gemeinwesens."

Jährlicher Austausch

Zukünftig möchte das SMJusDEG die engen Verbindungen Sachsens zu seinen Nachbarregionen in Polen und Tschechien nutzen, um einen jährlichen Austausch zu Themen der Rechtsstaatlichkeit auf justizieller, politischer und wissenschaftlicher Ebene zu initiieren. Im Rahmen der Auftakt-Tagung berichteten Expertinnen und Experten der Rechts- und Politikwissenschaft aus ihrer Forschung zu Themen rund um Rechtsstaatlichkeit und Justizwesen in ihren Staaten und über die Bedeutung der Europäischen Union für diese Fragen. Gemeinsam sollen die Teilnehmenden Lösungen der aktuellen Herausforderungen für die Rechtsstaatlichkeit der Europäischen Union entwerfen und die europäische Rechtsstaatskultur weiterentwickeln.

Eröffnet wurde die TriCon am 27. Januar mit einem trinationalen Moot Court, einer simulierten Gerichtsverhandlung. Der von Studentinnen und Studenten der Rechtswissenschaften verhandelte Fall orientierte sich an einem Verfahren, das im Jahr 2020 von der Kommission gegen Malta und Zypern eingeleitet wurde. Es ging dabei um die Vergabe sogenannter „Goldener Pässe“, die Vergabe von EU-Staatsbürgerschaften gegen Investitionen.

Die wissenschaftliche Tagung setzte sich in drei Podiumsdiskussionen auseinander mit allgemeinen und aktuellen Herausforderungen der Rechtsstaatlichkeit in Europa und mit der Auswahl und Ernennung von Richterinnen und Richtern, Staatsanwältinnen und Staatsanwälten.

Definition "Rechtsstaat" - Gemeinsamkeiten und Unterschiede

Einleitend stellten die Leipziger Professorin für das politische System Deutschlands und Politik in Europa Dr. Astrid Lorenz und Dr. Lisa H. Anders ihre Forschung zum Verständnis des Begriffs Rechtsstaatlichkeit vor. Dabei hatten sie zunächst unterschiedliche Ansätze zur Definition des Begriffs, Gemeinsamkeiten und Unterschiede herausgearbeitet. Ergänzend führten sie Interviews mit Richterinnen und Richtern, Politikerinnen und Politikern zu deren Vorstellung und Verständnis von Rechtsstaatlichkeit. Diese individuellen Vorstellungen wurden anschließend verglichen und ergaben verschiedene Kriterien die für eine abschließende Definition des Begriffs.

Das erste Podium setzte sich unter Moderation der Leipziger Professorin für Völkerrecht und Europarecht Dr. Stephanie Schiedermair mit den teils sehr intensiven justiziellen Veränderungen im europäischen Raum der vergangenen Zeit auseinander. An dem Podium nahmen neben Prof. Dr. Astrid Lorenz und Dr. Lisa H. Anders auch Dr. Ivo Šlosarčík, Professor für Europastudien an der Karls-Universität Prag und Dr. Mattias Wendel, Professor für Öffentliches Recht, Europa- und Völkerrecht, Migrationsrecht und Rechtsvergleichung an der Universität Leipzig teil.

Nach Ansicht Dr. Ivo Šlosarčíks handele es sich beim Angriff auf die Unabhängigkeit von Richterinnen und Richtern stellenweise vor allem um Machtpolitik. Diese schürten das Misstrauen in die Institutionen Mitteleuropas. In Hinblick auf die ebenfalls existieren Rechtsstaatlichkeitsprobleme in der Tschechischen Republik gehe es seiner Ansicht nach oft darum, Wählerstimmen zu fangen. Dr. Mattias Wendel fasste die

Grundlagen, die zur Verfügung stehenden Instrumente und die EU-Institutionen zusammen. Seiner Ansicht nach habe die EU-Kommission die Schlüsselrolle inne, um die Krise der Rechtsstaatlichkeit zu bekämpfen. Die Kommission stehe im Zentrum der Diskussion und wurde erst zuletzt durch den EuGH und dessen Rechtsprechung gestärkt.

In der daran anschließenden Debatte wurde unter anderem diskutiert, ob es sich mit Blick auf die Rechtsstaatlichkeitsprobleme der osteuropäischen Mitgliedstaaten um einen möglichen Dominoeffekt gehandelt habe. Aus tschechischer Perspektive lägen hier gewisse Gemeinsamkeiten vor. So sei zwischen den Vorgängen in Polen und Ungarn durchaus ein gewisses Muster zu erkennen. Diese seien allerdings nicht zwingend voneinander inspiriert gewesen. Daraufhin wird auch der Vergleich zur derzeit in Tschechien diskutierten Umstrukturierung der Staatsanwaltschaft gezogen.

Den Schlusspunkt der Diskussion bildete die Frage, wie weit die richterliche Unabhängigkeit reichen sollte. Hier unterschieden die Teilnehmenden zwischen der inneren und der äußeren Dimension. Demnach dürften Richterinnen und Richter von außen nicht unter dem Einfluss der Politik stehen. Im Rahmen der inneren Dimension dürften sie grundsätzlich nicht für ihr Handeln im Rahmen ihrer Berufsausübung zur Verantwortung gezogen werden. Hierzu habe der EuGH mittlerweile auch in der aktuelleren Judikatur Grundsätze dargelegt.

Auswahl und Ernennung von Richterinnen und Richtern, Staatsanwältinnen und Staatsanwälten

In Bezug auf die Ernennung und Beförderung oder auch Entlassung von Richterinnen und Richtern ist jede Personalentscheidung zugleich eine politische Entscheidung: In seiner Keynote stellte der frühere Präsident des Bundesverwaltungsgerichts, Prof. Dr. Dr. h.c. Klaus Rennert, verschiedene Thesen bezüglich der Politisierung von Personalentscheidungen hinsichtlich der Ernennung und Entlassung von Richterinnen und Richtern auf. Auch eine Übertragung dieser Personalbefugnis an die Richterschaft selbst würde nicht zu einer Entpolitisierung beitragen. Dennoch sollte sie beteiligt sein an Personalentscheidungen. So könne gewährleistet werden, dass bei der Ernennung auch eine eingehende fachliche Prüfung vorangegangen und die Eignung somit tatsächlich gegeben sei.

Da diese Personalentscheidungen trotz allem politische Entscheidungen seien, bräuchten sie eine zusätzliche demokratische Legitimation. Die Ernennung einer Richterin, eines Richters müsse sich somit auch auf eine demokratische – parlamentarische – Entscheidung zurückführen lassen. Es sollten Regelungen ausgearbeitet werden, damit sich das Parlament in solchen Entscheidungen wiederfände.

Unter Moderation von PD Dr. Konrad Duden knüpfte das zweite Podium an die Thesen Klaus Rennerts an. Am Austausch nahmen neben Dr. Werner Reutter, Professor für Regierungslehre und Policyforschung an der Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg, Dr. Michał Krajewski von der Universität København und Dr. Katarína Šipulová, Leiterin der Juristischen Fakultät der Masaryk-Universität Brno teil.

Prof. Dr. Reutter stellt die Ergebnisse seiner aktuellen Forschung an der HU Berlin vor, in deren Rahmen er sich mit der Ernennung von Richterinnen und Richtern auf Landesebene in Deutschland beschäftigt hat. Kriterium für die Ernennung seien in vielen Bundesländern Mindestalter und Höchstalter, sowie die Wählbarkeit. Unterschiede würden hingegen unter anderem in den jeweiligen erforderlichen Mehrheiten im Rahmen der Wahl bestehen.

Auch bezüglich der Beendigung der Amtszeiten bestünden zwischen den Bundesländern zwar vereinzelt Unterschiede, grundsätzlich seien sich die einzelnen Regelungen jedoch sehr ähnlich.

Dr. Michał Krajewski lenkte den Fokus auf die aktuellen Probleme hinsichtlich der Ernennung von Richterinnen und Richtern in Polen. Hierbei stellte er die Probleme dar, die bereits vor 2015 bestanden. Er ordnete die Bedeutung des Richteramtes in Polen ein und ging auf die verschiedenen Reformversuche in den Jahren 2007, 2009 und 2010 ein. Er wies darauf hin, dass, um mehr Vertrauen in der Bevölkerung zu schaffen, neben einem möglichen Justizrat auch ein Sozialrat etabliert werden könne. Dieser könne aus Vertreterinnen und Vertretern anderer Rechtsberufe bestehen und in den entsprechenden Gremien beteiligt werden.

Abschließend erläuterte Dr. Katarína Šipulová die Notwendigkeit der Einführung von Justizräten. Drei verschieden ideale Modelle eines möglichen Justizrates wären denkbar: 1. Justizrat vereint mit dem Amt der Richterin oder des Richters, 2. Justizrat als mittelnde Kraft zwischen den drei Gewalten oder 3. der Justizrat als vierte Säule der Gewalt. Auf jede dieser Weisen könne eine höhere Effizienz, eine soziale Legitimation und ein Schutz vor politischen Einflüssen gewährleistet werden. Die dritte Option wurde hierbei als sehr vielversprechend eingeschätzt.

Im Rahmen der anschließenden Debatte wurde auf die Beziehung zwischen polnischen und deutschen Gerichten eingegangen. Anlass für einen Systemwechsel in Deutschland sah keiner der Teilnehmenden. Vielmehr solle die Politik bei Personalentscheidungen weiter in begrenztem Umfang eine Rolle spielen. Eine solche politische Einflussnahme lasse sich ohnehin nicht gänzlich unterbinden.

Richterliche Unabhängigkeit

Prof. Dr. Bodnar, früherer Ombudsmann für Menschrechte der Republik Polen, ging in seinem Beitrag insbesondere auf die aktuelle Situation hinsichtlich der Rechtsstaatlichkeit in Polen und in Ungarn ein. Dabei stellt er zunächst die aktuellen Einschränkungen der Justiz durch die neuen Regelungen und die damit einhergehenden Probleme in Polen dar. Seit 2017 sei dort ein unaufhaltsamer Vorgang im Gange der darauf abziele die unabhängige Justiz zu untergraben. Hierbei erläutert er insbesondere das neue Ernennungsmodell und den neuen Disziplinarmechanismus. Einen wesentlichen Beitrag leiste seiner Meinung nach auch der Einfluss durch soziale Medien. Damit sei es einfacher auf politische Prozesse Einfluss zu nehmen. Die EU-Judikatur stelle aber nach wie vor einen wichtigen Ankerpunkt für das polnische Rechtssystem dar. Gleichzeitig warnte er vor einer Existenzkrise für die EU, wenn andere Mitgliedstaaten nach dem Vorbild Polens agierten.

Das dritte Podium setzte sich unter Moderation von Dr. Lisa H. Anders auseinander mit der Frage nach der richterlichen Unabhängigkeit. Aus tschechischer, polnischer, europäischer und vergleichender Perspektive diskutierten Dr. Ladislav Vyhnánek, Masaryk Universität Brno, Assoc. Prof. Dr. Anna Śledzińska-Simon, Universität Wrocław, Prof. Dr. Anne Sanders, Universität Bielefeld und Prof. Dr. Christoph Hönnige, Leibniz Universität Hannover.

Dr. Ladislav Vyhnánek stellte zunächst die Unterschiede zwischen den polnischen, den tschechischen und den ungarischen Verfassungsgerichten sowie der jeweiligen Rechtssysteme dar. Ein besonderer Fokus lag dabei auf den Fragen, wie robust diese gegen Missbrauch ausgestattet sind, wie sehr sie öffentlich unterstützt werden und wie fragmentiert sich das politische System darstellt.

Prof. Dr. Christoph Hönnige stellte ein Projekt vor, indem unter anderem die Rolle sozialer Medien und im gegenwärtigen politischen Diskurs untersucht wurde. Die Tatsache, dass Politikerinnen und Politiker auf diese Weise einfacher und auch direkter mit den Bürgerinnen und Bürgern kommunizieren können, stelle einen nennenswerten Faktor in der aktuellen Debatte dar. Am Beispiel Polens verdeutlichte er, dass es aufgrund des direkteren Zugangs zur Bevölkerung gerade für populistische Politikerinnen und Politiker einfacher war, das Vertrauen in die Gerichtsbarkeit zu untergraben.

Assoc. Prof. Dr. Anna Śledzińska-Simon warf daraufhin die Frage auf, ob die fehlende Unabhängigkeit einer Institution ausgeglichen werden könne durch eine personelle Unabhängigkeit bei deren Mitgliedern. Im Rahmen dieses Beitrags stellt sie die aktuelle Situation in Polen umfangreich dar und verdeutlicht den auf den Richterinnen und Richtern lastenden Druck. Eine Situation, die eng zusammenhängt mit dem gesunkenen Vertrauen in die Justiz.

Prof. Dr. Anne Sanders erläuterte abschließend die Rolle des Europarats in der Diskussion um die richterliche Unabhängigkeit. Sie erläuterte die Perspektive des Europäischen Menschenrechtsgerichtshofs an zwei aktuellen Fällen aus Polen und Ungarn.

Schließlich stellte sie die Gremien der Venedig-Kommission und des Beirats der Europäischen Richter in den Mittelpunkt und erläuterte deren jeweilige Rolle und Funktion in Hinblick auf die aktuellen Themen.

In der abschließenden Debatte wird unter anderem die Frage erläutert, ob die EU zu einem gewissen Grad auch Verantwortung an der Rechtsstaatlichkeitskrise in Polen trägt. Prof. Dr. Adam Bodnar vertrat hierzu die Auffassung, dass der EU zunächst eine wichtige Rolle beim Schutz der richterlichen Unabhängigkeit zukomme. Es könne allerdings nicht ausgeschlossen werden, dass bei schnellerem Handeln durch die Kommission, einige der aktuellen polnischen Probleme in Hinsicht auf die Rechtsstaatlichkeitsdebatte nicht bestehen würden.

Zum derzeitigen Zustand der Rechtsstaatlichkeit in Europa diskutierten im abschließenden High-Level-Panel Bettina Limperg, Präsidentin des Bundesgerichtshofs, Joachim Herrmann, Mitglied des Kabinetts des EU-Justizkommissars, Prof. Dr. Wojciech Piatek, Richter am Obersten Verwaltungsgericht der Polnischen Republik und Prof. JUDr. PhDr. Ivo Šlosarčík von der Karls-Universität Prag.

zurück zum Seitenanfang